Universität Klagenfurt, Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung

Am Standort Klagenfurt wird die Vignettenforschung in sozialen Räumen auch jenseits der Schule erprobt. So entstehen Vignetten auf öffentlichen Plätzen und Bahnhöfen, in Bussen und Zügen, an Straßenkreuzungen, auf Spielplätzen, in Parkanlagen oder Versammlungssälen, inspiriert von der pionierhaften Erkundung urbaner und kommunaler Lebenswelten durch Martha Muchow. Aufgrund der vielfach völligen Anonymität der in solchen Vignetten dargestellten Personen erfolgt die Deutung erzwungenermaßen frei von einem Wissen über deren Vorgeschichte und konzentriert sich auf Versuche des Verstehens von Bewegungen im öffentlichen Raum als Ausdruck von – mehr oder weniger gegebener – Aneignung, Ermächtigung, Inklusion und Teilhabe von Menschen in ihrer Lebenswelt. In der Lektüre dient dies der Reflexion gesellschaftlicher Ordnungen, wechselseitiger Bedingtheiten, von Hierarchien und Ungleichheiten entlang unterschiedlicher Differenzlinien wie u. a. Geschlecht, Sprache, Alter, Herkunft, Habitus, Milieu bzw. Behinderung. Von besonderem Interesse sind Prozesse des (personalen und sozialen) Lernens in Bezug auf das Zusammenleben von Menschen in heterogenen, auch durch Migration geprägten Gesellschaften.

Das Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung ist an der Ausbildung von Lehrkräften im Bereich der bildungswissenschaftlichen Grundlagen beteiligt. Die schulische Lernforschung fokussiert damit vorrangig ebenfalls auf soziale Interaktionen, Aushandlungsprozesse, Strategien und Machtbeziehungen zwischen Schüler*innen, Lehrkräften, Schulleitungen, politischen und gesellschaftlichen Ordnungen. Lehr-Lern-Methode, Unterrichtsgestaltung, Schulkultur und Bildungsprogramme gelangen mit in den Blick und werden auf mögliche – offene und verborgene – Haltungen, Lehrpläne, Hierarchien und Diversitätsphänomene hin reflektiert. In der Arbeit mit Studierenden dienen Vignetten dem Üben von Hinschauen, Hinhören, Hineinfühlen als Möglichkeiten leiblich-sinnlicher Wahrnehmung und Miterfahrung anstelle eines meist vorschnellen (be-)urteilenden Kategorisierens und diagnostischen Einordnens.

Vignetten finden am IFEB in unterschiedlichen Projekten Anwendung, so im laufenden Schwerpunkt zur sozialräumlich orientierten Lebensweltforschung, in der Begleitung von Projektklassen mit geflüchteten Jugendlichen („Lernen zwischen Flucht und Ankunft“) und eines Schüler*innen-Parlaments („Demokratie leben und lernen“). Die Arbeit mit Anekdoten ist im Ende 2019 genehmigten Projekt „Be First“ beim Jubiläumsfonds der österreichischen Nationalbank über Bildungsverläufe und Bildungsvererbung vorgesehen, um Entscheidungen von Schüler*innen für oder gegen ein Hochschulstudium auch in der Perspektive weiter zurückliegender und/oder dauerhafter Erfahrungen zu reflektieren. Ein Anliegen ist den Forscher*innen an der Universität Klagenfurt das Erproben von Methodenkombinationen wie die Verbindung von Vignetten mit Stegreiferzählungen und die phänomenologische Interpretation von Interviews. Ein besonderer Schwerpunkt ist der Einsatz von Vignetten und Anekdoten, um mögliche Lernerfahrungen wahrzunehmen, die durch performative Methoden hervorgebracht werden, zum Beispiel durch Forumtheater, gestalttherapeutische Gruppenselbsterfahrungen („Held*innen-Reise“), Rap-Workshops mit Jugendlichen und intuitives Zeichnen.

Im Rahmen des Projektes „INCREASE“ werden anhand von Vignetten Lehr-Lern-Erfahrungen für einen gemeinsamen Reflexionsprozess genutzt, um Veränderungen im akademischen und nicht-akademischen Bereich zu erproben.

Im Rahmen des EU-Projekts ProLernen arbeitete – von November 2020 bis November 2022 – ein Team von Expert*innen der Inklusion und Diversität am IFEB – basierend auf der Vignettenmethodologie – an der Erstellung eines Handbuches zur Ausbildung eines professionellen pädagogischen Habitus. Des Weiteren wurden Schulungsmodule für angehende Pädagog*innen und pädagogische Führungskräfte entwickelt.